Fachgebiet Fügetechnik / Arbeitsgruppe Werkstoff- und Oberflächentechnik (AWOK)

Kurzbeschreibung des Forschungsvorhabens

1. Forschungsthema

„Lösbare Adhäsiv-Brackets für die orthodontische Zahnbebänderung“

"Prodent"

2. Wissenschaftlich-technische und wirtschaftliche Problemstellung

Anlass für den Forschungsantrag

Bei der inzwischen bis ins Erwachsenenalter angewendeten Brackettechnik zur orthodontischen Korrektur von Zahnfehlstellungen werden Befestigungselemente (sog. Brackets) auf die Zahnoberfläche geklebt, welche die Kräfte auf den Zahn ausüben und sich während der bis zu 2 jährigen Behandlungsdauer nicht lösen sollen. Nach Abschluss der Behandlung müssen sie jedoch wieder vom Zahn entfernt werden. Diese Bracketentfernung erfolgt normalerweise mechanisch durch Scher-, Zug- und Torsionsbelastungen, wobei es häufig zu Rissen im Zahnschmelz oder gar zu Schmelzausbrüchen kommt. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Arbeitsgruppe Werkstoff- und Oberflächentechnik Kaiserslautern (AWOK) und INNOVENT Technologieentwicklung e.V. in Jena sollen daher Vorbehandlungs- und Klebsysteme so kombiniert und aufeinander abgestimmt werden, dass ein leichtes Lösen der geklebten Brackets durch gezielte Schwächung der Polymer-Metall- bzw. Polymer-Zahnschmelz-Grenzschicht im Verbund möglich wird.

Ausgangssituation

Der menschliche Zahnschmelz besteht zu 95 % aus dem harten, aber spröden Apatit (Kalziumphosphat). Für die Brackets wird meist eine Legierung aus korrosionsbeständigem Chrom-Nickel-Stahl verwendet. Für die Befestigung der Brackets auf dem Zahn werden 1- oder 2-komponentige Acrylatklebstoffe oder Glasionomerzemente verwendet, welche durch Belichtung oder Anmischen ausgehärtet werden. Neueste Systeme zur Konditionierung der Zahnoberfläche verwenden saure Monomere, während die Bracketo-berfläche durch Titanplasmabeschichtung, durch Silikatisieren und Silanisieren oder durch spezielle Adhä-sionspromotoren wie z. B, Phosphorsäuremethacrylate konditioniert wird. In Vorversuchen der Arbeits-gruppe AWOK wurde bei Forschungsarbeiten zur Festigkeit und Beständigkeit von strukturellen Metall-klebverbunden nach plastischer Verformung der Fügeteile festgestellt, dass insbesondere bei korrosions-beständigen Stahllegierungen ein drastischer Verlust der Adhäsion erreicht werden kann, wenn der Sub-stratwerkstoff einer plastischen Verformung oberhalb von 5 % bleibender Dehnung unterzogen wird. Die Höhe des Festigkeitsverlustes hängt dabei wesentlich von der Art der Vorbehandlung und der haftvermit-telnden Beschichtungen ab und kann im Extremfall zur vollständigen Delamination des Verbundes einge-setzt werden. In diesem gemeinsamen Forschungsvorhaben soll dieser Effekt nun am Beispiel der Zahnbrackets weiter untersucht und durch eine gezielte Kombination aus Substratwerkstoff, Vorbehand-lung, Klebstoff und Dehnwerkzeug zur Anwendung gebracht und erprobt werden.

Stand der Forschung

Bei der traditionellen Säureätztechnik werden zunächst einzelne Apatitkristalle der Zahnschmelzoberfläche durch 37 %-ige Phosphorsäure herausgeätzt und die Oberfläche anschließend mit dünnflüssigen Mono-meren benetzt. Neuere Systeme verwenden saure Monomere, um beide Schritte zu kombinieren. Bei der direkten Bracket-Adhäsiv-Technik wird das Adhäsiv auf die Bracketbasis appliziert, dann auf die konditio-nierte Zahnoberfläche positioniert und dort ausgehärtet. Die durch Mastikation auf das Bracket ausgeübten Kräfte erreichen 40-120 N, wodurch eine minimale Verbundfestigkeit von 6 MPa erforderlich ist, um den Verbund zu garantieren. Die innere Kohäsion des Adhäsivs liegt bei korrekter Anwendung über der des Zahnschmelzes von ca. 10 MPa. Daher kann es beim mechanischen Entfernen der Brackets (Debonding) zu Schmelzschädigungen in Form von Schmelzrissen oder gar Prismenausrissen kommen. Die Bracke-tentfernung nach Behandlungsabschluss erfolgt heute mechanisch oder thermisch. Zwar müssen bei der thermischen Entfernung geringere Kräfte auf den Zahnschmelz ausgeübt werden, es besteht hier jedoch ein hohes Risiko der Schädigung des Zahnnervs durch Hitzeeinwirkung, was zum Verlust des Zahnes führen kann. Bei der mechanischen Entfernung der Brackets werden heute spezielle Zangen eingesetzt, deren Kraftangriffspunkte an den Bracketflügeln, der Bracketbasis oder der Adhäsivschicht liegen.

Zahlreiche Studien belegen das hohe Risiko der Rissbildung und der Schmelzausbrüche. So stellten GRU-BISA et al 2004 für Transbond™ XT mit Transbond™ XT Primer2 Schmelzausrisse von 10 % fest im Ver-gleich zu 3 % bei Vorbehandlung mit Transbond™ Plus SEP, während TRITES et al 2004 die zwei Gruppen zusätzlich noch mit First Step™ SEP als dritte Gruppe verglichen und 17,2 %, 23,3 % bzw. 3,3 % erhält. SCHANEVELDT und FOLEY geben 2002 für Transbond™ XT Schmelzausrissen mit 22,5 % an, während RIX et al 2001 für Assure® 55 % und für Transbond™ XT 7,5 % Schmelzausrisse vermerken.

Auf Grund von Vorversuchen ist zu erwarten, dass die an Epoxid-geklebten entfetteten kor-rosionsbeständigen Stahlsubstraten beobachtete Haftungsverminderung mit einer vollständigen Delamina-tion oberhalb einer plastischen Deformation von 7,5 % auch für Dentalklebungen zu erreichen ist. Damit eröffnet sich bei entsprechender Gestaltung der Adhäsivbrackets ein erfolgversprechendes und praxistaugliches Verfahren zur Lösung der Bracketklebung und zur Vermeidung von Beschädigungen des Zahnschmelzes beim Debonding.

3. Forschungsziel / Ergebnisse / Lösungsweg

3.1 Forschungsziel

Das Forschungsziel besteht in der Entwicklung eines neuen Verfahrens zum Debonding der Brackets, bei dem die heute verwendeten Zangen nicht mehr zum Ausüben von Kräften auf den geklebten Verbund, sondern zur Dehnung eines Metallsubstrates eingesetzt werden, um so ein Lösen der adhäsiven Verbin-dung in der Polymer-Substrat-Grenzschicht zu bewirken. Dafür ist eine systematische Untersuchung der interaktiven Wirkung der Metalloberflächenvorbehandlung und -beschichtung des Klebstoffs sowie der zum Lösen erforderlichen Dehnungswerte erforderlich. Das interdisziplinäre Team der Forschungsstellen und der Mitglieder des projektbegleitenden Ausschusses vereint Brackethersteller, Klebstoffhersteller, Forschungseinrichtungen aus dem Bereich der Beschichtungssysteme zur Haftvermittlung und der Kleb-technik sowie in der Anwendung der Bracket-Adhäsiv-Technik erfahrene Kieferorthopäden. Durch die Synergie zwischen den verschiedenen Branchen sollen praxistaugliche Konzepte eines neuen lösbaren Adhäsivbrackets entwickelt werden.

3.1.1 Angestrebte Forschungsergebnisse

wissenschaftlich-technische

Ziel des Forschungsvorhabens ist, die Größen, die eine Trennung einer Verklebung beeinflussen, zu vari-ieren, um dadurch in der Lage zu sein, das Bruchverhalten der Verklebung gezielt zu steuern. Durch die Kombination eines neu zu konstruierenden Brackets mit besonders geeigneten Klebstoffen soll ein Verfah-ren zur Bracketverklebung entwickelt werden, welches über eine ausreichende Festigkeit verfügt und nach Abschluss der Zahnbehandlung ohne die Gefahr von Zahnschädigungen eine rückstandsfreie Ablösung von der Zahnoberfläche ermöglicht. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse über die gezielte Beeinflussung des Bruchverhaltens deformierter Klebeteile sollen auch für andere Anwendungsfälle wie Klebungen in der Automobilindustrie angewendet werden.

wirtschaftliche Ergebnisse

Durch eine gezielte Schwächung der Bracketverklebung wird eine besonders schonende Lösung der Verklebung möglich. Dadurch sinkt das Risiko einer Zahnschädigung mit den damit verbundenen Kosten für die Nachbehandlung deutlich. Ein weiteres Ziel des Projekts ist, die grundsätzlichen Mechanismen des Lösens von Klebverbindungen nach diesem Prinzip zu untersuchen, um die Vorteile definiert lösbarer Kle-bungen zukünftig auch anderen Industriezweigen, wie beispielsweise dem Maschinen- und Fahrzeugbau, zugänglich zu machen. Für die beteiligten industriellen Projektpartner ergeben sich wirtschaftliche Vorteile durch neue Produkte in den Bereichen Dentaltechnik, Vorbehandlungstechnik, Klebtechnik und im medizi-nischen Werkzeugbau.

3.1.2 Innovativer Beitrag der angestrebten Forschungsergebnisse

Durch die gezielte Kombination deformierbarer Brackets mit besonders geeigneten Klebstoffen sollen or-thodontische Zahnbehandlungen ohne das Risiko der Schmelzschädigung bei der Bracketentfernung er-möglicht werden. Dadurch werden zeit- und kostenintensive Nachbehandlungen vermieden.

Außerdem werden dadurch die grundsätzlichen Schädigungsmechanismen bei der Deformierung von Klebverbunden untersucht, welche sich auch auf andere Anwendungsfelder übertragen lassen und da-durch die Entwicklung lösbarer oder besonders haltbarer Klebungen ermöglichen.

3.2 Lösungsweg zur Erreichung des Forschungsziels

Methodischer Ansatz

Es sind drei Entwicklungsphasen geplant: beginnend mit Stahl-Stahl-Klebungen werden die Grundlagen des Verfahrens entwickelt sowie erste Kennwerte bestimmt. Davon ausgehend wird der nicht zu deformie-rende Probekörper durch einen aus Keramik oder einem synthetischen Komposit mit zahnähnlichen Ei-genschaften ersetzt. Dadurch wird das Verfahren auf spröde, nicht deformierbare Materialien erweitert. In der abschließenden Phase werden Stahl-Zahnschmelz-Klebungen untersucht, was der Zielkonfiguration entspricht. In allen Phasen werden die Probekörperoberflächen mit dafür geeigneten Vorbehandlungsver-fahren behandelt und mit verschiedenen im Dentalbereich anwendbaren Klebstoffsystemen verklebt. Die Oberflächengeometrie, besonders der zu deformierenden Probe, die Oberflächenvorbehandlung und die Flexibilität und Bruchfestigkeit des verwendeten Klebstoffs stellen die wesentlichen Einflussgrößen dar.

Die Probekörper werden anschließend Wasserlagerungs- bzw. Temperaturwechsellasttests unterzogen. Danach werden die Probenkörper aus korrosionsbeständigen Stahllegierungen definiert verformt und die verbleibende Klebefestigkeit durch Zugschertests ermittelt. Die Beurteilung der Bruchflächen und die Klä-rung der Schadensmechanismen und Schadensdynamik soll wiederum durch bildgebende und oberflä-chenanalytische spektroskopische Verfahren unterstützt werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Untersuchung eventuell auftretender Risse in spröden Materialien, was durch Farbstoffpenetrati-onstests unterstützt wird. Durch Korrelation der Ergebnisse aus der mechanischen Prüfung, der makroskopischen Beurteilung und der Oberflächenanalytik sollen die unterschiedlichen Verfahrenspara-meter der Verklebung (Oberflächengeometrie, Vorbehandlung, Klebstoffelastizität) hinsichtlich ihrer Wirk-samkeit zur gezielten Lösung von Klebungen vergleichend untersucht werden.

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