Fachgebiet Fügetechnik / Arbeitsgruppe Werkstoff- und Oberflächentechnik (AWOK)

Kurzbeschreibung des Forschungsvorhabens

1. Forschungsthema

„Teiltransparente tragende Verbundbauteile aus Stahl- und Glas“

„3TVB“

2. Wissenschaftlich-technische und wirtschaftliche Problemstellung

Anlass für den Forschungsantrag

Durch Einsatz der Klebtechnik kann auf sichtbare mechanische Verbindungsteile im Randbereich wie z. B. Schrauben oder in Bohrungen befestigte Punkthalter oder Klammern weitgehend verzichtet werden. Dadurch ergeben sich hohe wirtschaftliche Vorteile, da kostspielige Bohrungen im Glas vermieden werden können. Ohne Bohrung und durch die gleichmäßigere Spannungsverteilung in den Lasteinleitungspunkten kann außerdem die Glasdicke reduziert werden. Über eine großflächigere Verteilung der Lasteinleitungspunkte kann so eine wirtschaftlichere, Material sparende Konstruktion erreicht werden, die dem Glasbau neue Impulse verleiht.

Ausgangssituation

Aufgrund des hohen Versagensrisikos von Glas (Glas bricht spröde und spontan ohne jegliche Plastifizierungsmöglichkeit) wurde dieser Werkstoff bis vor kurzem meist nur als „ausfachendes“ Element ohne Aussteifungs- bzw. Tragwirkung für die Konstruktion eingesetzt. Die Befestigung von Glas an der tragenden Unterkonstruktion erfolgt in der Regel mittels diverser mechanischer Verbindungsmittel (Klemmleisten, gebohrte Punkthalter). Hiefür liegen nationale und auf europäischer Ebene eingeführte Regelungen vor (ETAG 002, Guideline for European Technical Approval for Structural Sealant Glazing Systems (SSGS)). Da diese Richtlinien jedoch die Verwendung von silikonbasierten Kleb-Dichtstoffen explizit vorschreiben, ist damit die Realisierung von Verbundträgern bzw. Rahmenecken (schubsteife Verbindung!) nur bedingt möglich – hier sind Klebungen mit schubsteifen strukturellen Klebstoffen erforderlich.

Die moderne Klebstoffchemie bietet eine Vielzahl von Basispolymeren mit maßgeschneiderten Eigenschaften, die grundsätzlich für diese attraktive Anwendung in Frage kommen. Während gummielastische Klebstoffe bevorzugt in Bereichen eingesetzt werden, bei denen der Ausgleich von Verformungsunterschieden zur Vermeidung von Zwängungen gefordert wird und ausreichend große Fügeflächen zur Übertragung der Gesamtlast zur Verfügung stehen, werden duromere Strukturklebstoffe bevorzugt verwendet, wenn eine hohe Schubsteifigkeit gefordert ist, weil z.B. nur geringe Verformungen zugelassen werden können oder wenn hohe Festigkeiten bei begrenzten Fügeflächen benötigt werden. Die hervorragende langzeitbeständige Adhäsion der Silikonklebstoffe zum SiO-Netzwerk der anorganischen Gläser, die u.a. ausschlaggebend für die Eingrenzung der ETAG 002 auf diese spezielle Klebstoffgruppe war, kann heute auch durch die Verwendung von Haftvermittlern und die Modifizierung anderer Basispolymere mit reaktiven Silangruppen von modernen Klebstoffen erreicht werden.

Stand der Forschung

Im Gegensatz zu den kraft- und formschlüssigen Fügeverfahren, bei denen die Verbindung durch Reibkräfte oder die Formgebung der Fügeteile hergestellt wird, liegen die, für die stoffschlüssige Kraftübertragung bei Klebverbindungen relevanten adhäsiven Wechselwirkungskräfte im Bereich atomarer und/oder molekularer Dimensionen im Sub-Nanometerbereich. Die mechanischen Eigenschaften von Klebverbunden in bezug auf das mechanische Verhalten und die Beständigkeit werden insbesondere durch die konstruktive Gestaltung der Fügestellen, die Art der verwendeten Klebstoffe und den Zustand bzw. die Vorbehandlung der zu klebenden Oberflächen bestimmt. Das beantragte Forschungsvorhaben berücksichtigt daher insbesondere aktuelle Forschungsergebnisse und Analogien des strukturellen Klebens im Bauwesen, dem Kleben von Glas, sowie dem Kleben von Stahl, insbesondere im modernen Fahrzeug-Leichtbau.

3. Forschungsziel / Ergebnisse / Lösungsweg

3.1 Forschungsziel

Ziel der Forschungsarbeit ist die Anwendbarkeit von strukturellen Klebverbindungen auf große, teiltransparente Verbundbauteile (3TVB), wie sie im Bereich des Bauwesens wünschenswert sind, z. B. Stützen (Höhen von ca. 3 bis 5 m), Träger (Spannweiten bis über 12 m) und Rahmenecken wie in Abbildung 1 dargestellt. Über ihre Teiltransparenz hinaus sollen diese geklebten Verbundbauteile im Bauwesen übliche Lasten tragen. Die Klebung spielt hierbei die entscheidende Rolle, um die einzelnen Teile des Verbundbauteils zur gemeinsamen Lastübertragung zu befähigen. Als wesentliche Eigenschaft derartiger Bauteile ist, neben deren Stabilität, auch die Möglichkeit Lasten aus absturzsichernden Bauteilen aufzunehmen (s. TRAV des Deutschen Institut für Bautechnik) relevant. Darüber hinaus sind Anforderungen an die im Bauwesen geforderte Resttragfähigkeit zu erfüllen.

Durch das Forschungsvorhaben soll aufgezeigt werden, wie die Klebtechnik für die Herstellung von tragenden teiltransparenten und dauerhaften Glas-Glas und Stahl-Glas Verbunden eingesetzt werden kann

3.1.1 Angestrebte Forschungsergebnisse

wissenschaftlich-technische Ergebnisse

- Beurteilung der Leistungsfähigkeit heutiger Strukturklebstoffe zur Realisierung von tragenden Glas-Glas und Stahl-Glas Verbunden

- Identifikation maßgebender Materialparameter und Vorbehandlungsverfahren der Fügepartner für langzeitbeständige Strukturklebungen

- Berechnungsgrundlagen und Optimierungsmöglichkeiten für strukturellen Glas-Glas und Stahl-Glas Hybridklebungen

- Schaffung von Anwendungsregeln für strukturelle Glas -Klebungen im Bauwesen

- Identifikation von Entwicklungs- und Verbesserungspotentialen für strukturelle Hochleistungsklebungen

wirtschaftliche Ergebnisse

Durch die Schaffung von praxisgerechten Auslegungs- und Bemessungsregeln und den Bau und die Erprobung von Demonstratoren findet diese Technologie einen erweiterten Anwendungsbereich. Insbesondere Verfahren für Allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen können auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse ermöglicht werden, da mit Hilfe der durchgeführten Forschungsarbeit bereits grundlegende Aussagen zum Einsatz von strukturellen Klebungen erreicht werden. Bei dem Einsatz von strukturellen Klebungen handelt es sich um eine innovative und materialeffiziente Verbindungstechnologie, die insbesondere die Wettbewerbssituation der Betriebe in dem Bereich des Glas- und Fassadenbaus stärken wird. Die allermeisten dieser Fassadenbauunternehmen sind im Bereich der kmU´s angesiedelt, daher werden gerade diese Unternehmen im wesentlichen von den hier gewonnenen Erkenntnissen profitieren. Zusätzlich wird die Wettbewerbssituation deutscher Ingenieurleistungen im europäischen und internationalen Wettbewerb durch das geplante Forschungsvorhaben erheblich gestärkt. Durch die „Berechenbarkeit“ einer verklebten Verbundbauweise, reduziert sich der Aufwand zur Ausführung dieser Bauart enorm durch den Verzicht umfangreicher Bauteilversuche. Erst die Kenntnisse bezüglich anzuwendender Materialgesetzmäßigkeiten sowie Kennwerte zum Temperaturverhalten, Alterung etc., ermöglichen dem Ingenieur die erforderliche rechnerische Nachweisführung derartiger Klebungen.

3.1.2 Innovativer Beitrag der angestrebten Forschungsergebnisse

Durch die Ergebnisse der Forschungsarbeit können als neue Produkte als teiltransparente, tragende Bauteile entwickelt und realisiert werden, die nur mit strukturellen Klebungen verwirklicht werden können. Der Einsatz von strukturellen Klebungen kann die Herstellung eines Biegeträgers von über 12 m Länge ermöglichen und damit die derzeitige Beschränkung der Trägerlänge auf die herstellungsbedingten maximalen Glasabmessungen mit einer Länge von maximal 7 m aufheben. Durch die aus dem Forschungsvorhaben gewonnenen Erkenntnisse lässt sich eine völlig neue Bauart – 3TVB – im Bauwesen einführen. Hierdurch sind deutliche Impulse zu einem vermehrten Einsatz von Glas und Stahl bei künftigen Bauvorhaben zu erwarten.

3.2 Lösungsweg zur Erreichung des Forschungsziels

Die strukturellen Klebungen für die im beantragten Forschungsvorhaben beabsichtigten Anwendungen müssen in der Lage sein, statische Lasten dauerhaft zu ertragen. Im Hinblick auf die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit der Verbindung sind daher versuchstechnische Untersuchungen bezüglich Alterung, Relaxationsverhalten bzw. Kriecheigenschaften unter ständiger Last sowie bezüglich des Temperaturverhaltens von elementarer Bedeutung. Entsprechend beinhaltet der methodische Ansatz Arbeitsschritte, die sich mit der konstruktiven Gestaltung und dem Nachweis der Tragfähigkeit, der Ausführung der Klebung und den Maßnahmen zur Erreichung und Überprüfung der geforderten Dauerhaftigkeit befassen (Tabelle 1 ).

ASArbeitsaufgabenForschungsstelle
01 Rechnerische Voruntersuchungen FH- München
02 Klebstoffauswahl und Bestimmung des temperaturabhängigen mechanischen Verhaltens der Klebstoffe TU Kaiserslautern, AWOK
03 Vorbehandlung und klebtechnische Aktivierung der Glas- und Stahloberflächen TU Kaiserslautern, AWOK
04 Alterungs- und Beständigkeitsuntersuchungen TU Kaiserslautern, AWOK
05 Aufstellen der Materialgesetze FH- München
06 Kleinbauteilproben FH- München
07 Rechnerische Untersuchung der Kleinbauteilproben FH- München
08 Bauteilversuche, Demonstratoren FH- München
09 Rechnerische Untersuchungen an den Demonstratoren FH- München
10 Bemessungsregeln FH- München

Durch die experimentellen und theoretischen Ergebnisse sollen verlässliche Berechnungsmodelle aufgestellt werden. Die Ergebnisse der versuchstechnischen Untersuchungen werden dazu dienen, Versuchskonzepte für z.B. allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen bzw. Zustimmungen im Einzelfall aufzustellen. Durch den erlangten Wissensstand können konstruktive Vorgaben sowie ein Sicherheitskonzept (u. a. unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den Versuchen unter Temperatur, nach Alterung usw.) erarbeitet werden. Im Verlauf dieses Arbeitsschritts werden die ermittelten Eckdaten mit dem deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) abgestimmt. Ziel ist die Umsetzung einer allgemeinen technischen Regel für die im Rahmen dieses Antrags untersuchten Verbundwerkstoffe für das Bauwesen. Das Vorhaben wird in enger Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium sowie der obersten Baubehörde in Baden Württemberg bearbeitet.

4. Nutzen und wirtschaftliche Bedeutung des Forschungsthemas für kleine und mittlere Unternehmen (kmU)

Die enge Zusammenarbeit der Forschungsstelle mit den Firmen des projektbegleitenden Ausschusses (insbesondere die aus dem Fassadenbau der glasverarbeitenden Industrie sowie den Klebeherstellern) stellt eine zielgerichtete Forschung sicher. Die hohe finanzielle Beteiligung der genannten Firmen zur Finanzierung der Probekörper und Demonstratoren, Bereitstellung der Klebstoffe, etc. unterstreicht die von Seiten der Forschungsstelle sowie von den kmU´s gewünschte enge Zusammenarbeit. Die im Arbeitskreis beteiligten Klebstoffhersteller sowie Vertreter von Ingenieurbüros werden dabei als Multiplikatoren dienen und die Ergebnisse an die am Arbeitskreis nicht beteiligten Firmen transferieren. Das große Industrieinteresse wird zudem duch die hohe Priorisierung und Befürwortung der Einreichung des Projektantrages bei der 2. Sitzung des Gemeinschaftsausschusses Klebtechnik der Forschungsvereinigungen DECHEMA, DVS, FOSTA und DGfH bestätigt.

Da die Aufstellung allgemeiner Bemessungs- sowie Konstruktionsregeln als Forschungsziel im Vordergrund steht, sind die Ergebnisse des Vorhabens für die kmU nmittelbar nutzbar. Durch die vernetzte Zusammenarbeit bzw. den Know-how Transfer von den größeren Unternehmen (Klebstoffhersteller) zu den kmU im projektbegleitenden Ausschuss wird bereits von Beginn an bzw. während der Forschungsarbeit sichergestellt, dass gewonnene Grundlagen aus der Forschung zur unmittelbaren Nutzung aller beteiligten Firmen des projektbegleitenden Ausschusses zur Verfügung stehen.

4.1 Möglicher Beitrag zur Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der kmU

Durch den Einsatz der Klebtechnik im konstruktiven Glasbau werden Bauteile und Konstruktionen ermöglicht und etabliert, die aufgrund ihrer Eigenschaften (Festigkeit, Dauerhaftigkeit) und ihres geometrischen Charakters (transparente Fügestellen), ihrer Ästhetik und ihrer Schnelligkeit (Vorfertigungsgrad, Planungssicherheit) es bis jetzt nicht gibt. Dies resultiert in einen Marktvorteil besonders gegenüber ausländischen Firmen. Das gilt sowohl für die mittelständisch strukturierten Metallbaufirmen als auch für Architekten, Planer und Ingenieurbüros.

5. Beabsichtigte Umsetzung der angestrebten Forschungsergebnisse

Die bisherige Zusammenarbeit des Labors für Stahl- und Leichtmetallbau mit der Industrie und Handwerk (auch als vom DIBt anerkannte Prüf- Überwachungs- und Zertifizierungsstelle) und dem projektbegleitenden Ausschuss garantieren eine praxisorientierte Forschung und einen Transfer der Ergebnisse schon während der Laufzeit des Projekts zu den im Bereich der Stahl- bzw. Glasfassadenbau tätigen Firmen. Darüber hinaus werden die Forschungsergebnisse durch Vorträge auf Tagungen und Seminaren (FH- München veranstaltet jährlich eine Glastagung mit ca. 300 - 350 Teilnehmern, jährliches Kolloquium „Gemeinsame Forschung in der Klebtechnik“ veranstaltet von DECHEMA, DVS, FOSTA und DGfH), sowie durch Veröffentlichungen in Zeitschriften, durch Diskussionen in den Fachausschüssen und Normungsgremien (der Antragssteller der FH München ist Mitglied in dem Normungsausschuss DIN 18008 Glas im konstruktiven Ingenieurbau, der Antragsteller der TU Kaiserslautern ist Obmann des Arbeitsausschusses NMP 455, „Prüfung von Konstruktionsklebstoffen, -klebverbindungen und Kernverbunden“), und in Arbeitskreisen (Glas und Stahl; Glas im konstr. Ingenieurbau) einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Des Weiteren werden die Ergebnisse in die Lehre und praktische Hochschulausbildung (der Antragsteller der FH München hält im Rahmen der Lehre, Vorlesungen über „Schweißen und Fügetechnik“, „Glasbau“, und Architektur-Sondervorlesungen „Glas und Fassadenbau“; der Antragsteller der TU Kaiserslautern hält Vorlesungen über „Fügetechnik“ und „Klebtechnik“) einfließen. Diplomarbeiten aus diesen Gebieten ermöglichen vertiefte Kenntnisse einiger Absolventen. Durch die bisherige gute Zusammenarbeit mit dem Fachverband Konstruktiver Glasbau (FKG) und mit dem deutschen Stahlbauverband werden die Ergebnisse an den direkt betroffenen Personenkreis (auch Planer Ingenieurbüros und Prüfingenieure) weitergegeben.

 

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